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Psychiatrie im Zeitalter der Digitalisierung

Liron Pepshi • Okt. 28, 2019
Neuer Studien schätzen, dass nahezu jeder vierte Mann und jede dritte Frau im Alter von 18 bis 79 Jahren an einer psychischen Erkrankung leidet. Auf die Gesamtbevölkerung umgerechnet sind das immerhin 27.7 Prozent.
Angststörungen, Depressionen und Suchtkrankheiten gehören zu den am häufigsten therapierten Krankheiten. Laut der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) steht dem entgegen, dass es im Schnitt 20 Wochen dauert, bis ein Termin mit einem Psychotherapeuten stattfindet. Diese prekäre Situation ist typischerweise auf dem Land gravierender als in Städten. Während Menschen in der Großstadt durchschnittlich vier Monate auf einen Therapieplatz wartet, müssen Menschen auf dem Land sechs Monate ausharren. Durch die in 2017 reformierte Psychotherapie-Richtlinie wurde eine Sprechstunde eingeführt. Das führte dazu, dass die Wartezeiten für ein erstes Gespräch von 12,5 Wochen auf 5,7 Wochen nahezu halbiert wurden. Auch bieten etwa zwei Drittel aller Psychotherapeuten eine Akutbehandlung innerhalb von zwei Wochen an. Leider sind dadurch die Wartezeiten für echte Therapieplätze nicht wirklich gesunken. Ein Grund dafür liegt an dem Mangel an Fachkräften. Aufgrund einer fehlgeleiteten Bedarfsplanung werden nicht überall Psychiater oder Psychotherapeuten zugelassen, wo es notwendig wäre. Ein anderes Problem für diese Berufsgruppe ist die zunehmende Bürokratisierung. Diese wird durch das „Pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik“ (PEPP) vorangetrieben. Das führte beispielsweise dazu, dass nun mehr Fachpersonal benötigt wird, um mit der Dokumentation aufrecht zu erhalten. Während größere Institutionen vielleicht eine extra Stelle neu schaffen können, haben kleinere Praxen und Kliniken ein Problem mehr. Denn die Zeit von Fachpersonal weiter gebunden, die sich in dieser Zeit nicht adäquat um Patienten bemühen können. 

Ein möglicher Ausweg könnte für die Zukunft der Psychiatrie eine Digitale Therapie darstellen. Es gibt neue E-Mental Health Apps, die ihren Nutzern helfen können, ihre psychischen Probleme zu bekämpfen. Auch können solche Apps lebendige Therapeuten in ihrer Arbeit unterstützen und Patienten begleiten, auch wenn die Therapeuten gerade nicht physisch anwesend sind. Für mildere Krankheiten gibt es internetbasierte Selbsthilfe-Programme, die eine ernsthafte Hilfestellung für die Patienten bedeuten. Denn leider sind psychische Krankheiten von Vielen immer noch stigmatisiert und werden aus Angst vor negativen Folgen lange verheimlicht. Ein solches Programm bietet in diesen Fällen vielleicht den Einstieg in die Welt der Psychotherapie, so dass der Gang zum Therapeuten weniger schwer fällt. Auch in der manchmal recht langen Wartezeit bis zum Beginn einer Therapie kann ein solches Programm wertvolle Dienste leisten.

In 2014 wertete G. Andersson eine Vielzahl von Studien aus, um herauszufinden, ob die Ergebnisse von der Online Therapie vergleichbar mit den Ergebnissen einer klassischen Therapie sind. Untersucht wurden 13 Studien von digital basierten Therapien und 13 Studien einer klassischen Therapie. Das Ergebnis war, das beide Ansätze annähernd gleich erfolgreich waren. Es ist also zu erwarten, dass die sogenannte digitale Psychiatrie in der Zukunft ausgebaut wird, denn deren Vorteile, wie beispielsweise die örtliche Ungebundenheit, die erhöhte Diskretion sowie die niedrigeren Kosten dieser online Therapie, sind nicht von der Hand zu weisen. 

Um die digitale Psychiatrie jedoch auszubauen, benötigt es eine Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Aktuell ist es zu einer Vielzahl von Online Interventionen gekommen, die zum Teil wissenschaftlich evaluierte Angebote darstellen, allerdings gibt es auch unseriöse oder gar schädliche Angebote. Darum hat der BPtK eine Checkliste (PDF) zu Verfügung gestellt, die Patienten helfen soll, die Qualität des vorliegenden Angebots einzuschätzen. Punkte auf dieser Liste sind Fragen über das Programm, über die Ansprechpartner, wie lange sie zur Verfügung stehen und was in Krisensituationen passiert. Für die Anwender problematisch ist weiterhin die Frage nach dem Datenschutz. Für eine wertvolle Diagnose oder eine effektive Therapie ist es notwendig, dass auch persönliche Daten preisgegeben werden. Wie diese Daten verwendet werden, wer sie bearbeitet und ob und wo sie gespeichert werden, sollte vor Beginn der Maßnahme klar sein. 

Ein weiterer großer Punkt ist, dass viele dieser Programme zwar Geld kosten, aber es keine flächendeckende Kostenerstattung durch die Krankenkassen gibt. 

Im Zuge der immer schneller werdenden Digitalisierung wird auch die Psychotherapie, Teile der Psychiatrie und Psychosomatik in Zukunft ihr Gesicht verändern. Dazu gehört das rasante Wachstum der E-Mental Health,< Apps, die online Therapie, Internetplattformen und alle anderen Angebote, die es in diesem Bereich gibt. Wie es in anderen Bereichen der Medizin geschieht, wird auch hier mit der zunehmenden Digitalisierung das online Angebot ausgebaut werden, nicht zuletzt um die Lücken in bestehenden Systemen zu füllen und die Wartezeiten für die Patienten zu verkürzen. Dazu gehört es, dass sich Patienten sowie Gesetzgeber darüber im Klaren sind, das online Angebote stets nur unterstützend wirken können, aber in echten Krisenfällen immer eine menschliche Hand benötigt wird. Darum ist es sehr wichtig, dass die vorhandenen Checklisten immer wieder aktualisiert werden, sowie verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.

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