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Die neue digitale Ära in der Medizin hat begonnen und motiviert viele Unternehmen, fortschrittliche digitale Produkte zu entwickeln. Erstmals dürfen wir als Ärzte auch zwei digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnen. Wann macht eine Verordnung Sinn?
Ich kann mir gut vorstellen, dass sich ein Klient, bevor er in der Zukunft erstmalig in eine psychiatrische Sprechstunde kommt, reichliche Informationen im digitalen Netz einholt. Auch wäre es für mich denkbar, den Erstkontakt digital zu gestalten, um es dann, zusammen mit den subjektiven und objektiven Informationen (u.a. Übertragung und Gegenübertragung-Phänomene) aus einer ersten Sitzung zu ermöglichen, ein personalisiertes Therapiekonzept zu erstellen. Bereits bei der 2. Sitzung könnte ich sofort mit der passenden Medikation behandeln, basierend auf den exakten algorithmisch erstellten Diagnosen und der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur.
Um dies zu ermöglichen, wurde vorher die Hilfe einer etablierten künstlichen Intelligenz-Plattform genutzt, diese war „gefüttert“ mit Informationen vom Patienten vor der ersten Sitzung und mit Informationen von mir nach dem ersten Eindruck. Über eine Pharmaka-Technische Plattform, basierend auf o.g. Informationen, kombiniert auch mit genetischer Veranlagung des Klienten, und gesammelten Daten von anderen Fällen, erstelle ich „in digitaler Zusammenarbeit“ die Medikation (Psychopharmaka). Außerdem erfahren ich, mit welcher prozentualen Wahrscheinlichkeit eine Besserung in welchen Zeitraum zu erwarten ist. Parallel dazu, basierend auf verschieden Studien und auf meiner jahrelangen praktischen Erfahrung, verschreibe ich per Rezept eine DiGa (Digitale Gesundheitsanwendung), die der Klient mit u.a. Entspannungstechnik, Psychoedukation, Training-Programmen und Selbst-Tests unterstützt. Da der Klient selbstverständlich das unterstützende Gespräch benötigt, verordne ich in einem zweiten Rezept ein psychotherapeutisches Chatbot.
Während des ganzen Therapieprozesses stehe ich zur Verfügung, jedoch eher, um eventuelle Änderung zu veranlassen, Prozesse zu unterstützen und aufkommende Fragen zu klären. Natürlich geht es auch um menschliche Interaktion, jedoch deutlich weniger als die Zeit, die ich als Arzt momentan benötige, um dem Patienten nach derzeitigem Stand zu begleiten. Alle bürokratischen Aufgaben, die mir aktuell ein Drittel meiner Arbeitszeit raubt, werden von einer geeinigten Software übernommen. Somit kann ich mehr Klienten behandeln, dafür aber auch besseren Qualität anbieten, da das Wesentliche – die Behandlung des Patienten – in den Vordergrund rücken kann.
Eine rasche und flexible Facharzttermin, eine echter personalisierter Therapiekomplex, erspart weitgehend therapeutische Nebenwirkungen.
Ich bin nicht nur optimistisch und glaube, dass solche Vorgehensweisen bald Realität werden könnten, sondern ich bin sicher, dass es so kommen wird. Alle oben genannten Bausteine eines personalisierten Therapiekomplexes sind bereits entwickelt, teilweise bereit, eingesetzt zu werden. Manche benötigen nur eine leichte Anpassung. Es gibt viele digitale Gesundheitsplattformen, die das Aufnahmemanagement deutlich erleichtern, von der Personalienaufnahme, über die Versicherung, bis zum Lebens- und Problemfragebogen. Programme mit integrierten Algorithmen über Persönlichkeit (z.B mit SKID II Test) und Diagnostik (ICD 10, DSM V), falls noch nicht vorhanden, müssten keine Weltneuheit sein zu entwickeln, da der Algorithmus-Schlüssel einfach gebaut ist. Zur genetisch basierenden Medikamenten- Verordnung könnte beispielsweise die Unterstützung der
cnsdose.com eingeholt werden. Auch digitale Gesundheitsanwendungen sind bereits vorhanden, und durch ein neues, bereits 2019 in Kraft getretenes Gesetz, erlaubt worden, zu verordnen. Für eine psychotherapeutische Begleitung sollte versucht werden, das
Woebot auf Deutsch zu programmieren.
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Auch wenn das alles „ungerecht“ gegenüber Klienten und Unternehmen klingt, muss gesagt werden, dass für einen Psychiater eine „App auf Rezept“ alles andere als einfach ist. Ganz im Vorfeld muss man als Psychiater ausführlich über eine digitale Gesundheitsanwendung informiert werden, was bei immer neu kommenden DiGa zeitaufwendig ist. Durch diese Information muss ich, davon überzeugt werden. Dafür reichen nicht nur die Studien, sondern auch das Konzept muss plausibel sein. Als Facharzt in verschiedenen Positionen und verschiedenen Kliniken habe ich meine Kollegen überwiegend skeptisch bezüglich solcher digitaler Gesundheitsentwicklungen erlebt.
Erst wenn ich als Psychiater von dem Nutzen überzeugt bin, und der entsprechende Klient gefunden ist, auf den das Rezept passt, werde ich diese Form der Therapie anordnen. Eine wichtige Voraussetzung ist allerdings, dass der Klient motiviert ist eine solche Art der Therapie anzuwenden. Und hier kommt noch eine regulatorische Hürde: Es ist zurzeit nicht ganz ersichtlich, wie eine „App auf Rezept“ erstellt werden kann.
In dieser momentan schwierigen Situation und auch in Anbetracht der 12-monatigen Bewährungsfrist, wäre eine Werbung in der Form eines Pharmavertreters der falsche Weg. Es gibt nicht wenige Kliniken, in denen Besuche von Pharmavertretern nicht erlaubt bzw. unerwünscht sind. Ein Medikament ist leichter zu verordnen, man kennt die Wirkung und die häufigste oder gefährlichste Nebenwirkung, und dies ist auch mit einfachen Worten dem Patienten zu erklären. Die meisten Klienten glauben an den Therapieansatz ihres Arztes, so dass es nur eine minimale Anforderung ist, das Medikament einfach wie verordnet einzunehmen. Dies ist meist überwiegend unproblematisch. Diese Einfachheit bei Medikamenten-Verordnungen und der klassische Raport zwischen Arzt und Klient (Patient) macht es fast unmöglich, DiGa als klassische Therapie zu betrachten und zu etablieren. Eine Werbung nach diesem Prinzip wird nie erfolgreich sein.
Ein einfacherer und erfolgversprechender Weg, die digitale Behandlungsmethode „an den Mann zu bringen“, wäre die direkte Kommunikation mit dem Klienten persönlich.
Neben der Digitalisierung in der Psychiatrie sind die Klienten zunehmend aktiver, in dem sie versuchen, sich über ihre Störung/Erkrankung im Internet zu informieren. Sie sind aktiver in Gesundheitsforen, suchen intensiv nach Behandlungsmöglichkeiten (v. a. Alternativbehandlung), vergleichen die Behandlungsmöglichkeiten, einschließlich Therapeuten und Kliniken. Deshalb auch der Begriff Klienten (selbstbewusster) anstatt Patienten, der bis jetzt angewiesen war, den nächst möglichen Therapeuten aufzusuchen und seine Empfehlung und Aufforderung kritiklos zu befolgen. Wenn eine der Behandlungsoptionen den Klienten überzeugt, könnte der Klient selbst diese Behandlungsoption mit seinem Psychiater besprechen. Also im Grunde wäre es empfehlenswerter, wenn die Initiative vom Patienten selbst kommt, anstelle des Psychiaters. Ein Psychiater, falls er selbst dann davon überzeugt wäre, würde wohlwollend solche Anwendung anordnen. Wenn er eine spätere Rückmeldung seitens des Klienten über positive Entwicklung erhält, erst dann könnte eine digitale Gesundheitsanwendung auch als reguläre Behandlungsangebot bei einem passenden und erfolgsversprechenden psychischen Problem anordnen.
Foto: © kenary820/Shutterstock.com
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