Eine Gruppe von 28 globalen Experten ist im Jahr 2018 zu dem Ergebnis gekommen, dass man bis zu 13,5 Millionen psychisch erkrankter Menschen jährlich und weltweit helfen könnte, wenn man den Zugang zu optimaler Behandlung verbessern bzw. erleichtern und vereinfachen würde (1).
Aber wie sieht es mit der Psychiatrie in der Zukunft aus?
Die Psychiatrie ist eine der wenigen medizinischen Fachgebiete, die ihre Konzepte ständig angepasst, sogar teilweise komplett verändert hat. Ausgehend durch die Trennung von der Religion in der romantischen Ära Anfang der 19. Jahrhunderts mit Philippe Pinel (1745-1826) und Heinrich Philipp August Damerow (1798-1866), bis hin zur experimentellen Psychiatrie, angefangen mit Emil Wilhelm Georg Magnus Kraepelin (1856-1926), hat die Psychiatrie viele Epochen erlebt.
Die zahlreichen Beiträge von Sigmund Freud (1856-1939), Karl G. Jung
(1875-1961), John Watson (1878–1958) und die
der vielen nachfolgenden Psychiater, stellten
die intrapsychischen und interpersönlichen Prozesse in den Vordergrund.
Die Verteidigung gegen antipsychiatrische Bewegungen, die die Psychiatrie am liebsten komplett abgeschafft hätten, brachten als Ergebnis ihrer Bemühungen hervor, dass das Fachgebiet Psychiatrie besser von anderen Fachgebieten und Glaubensätzen (u.a. Mystik) abgegrenzt wurde. Krankheitsbezeichnungen wie Psychopathie wurden auf Persönlichkeitsstörung geändert, Demenz wurde in neurokognitive Störung geändert.
Die Psychiatrie als Fachgebiet der Medizin war und ist unentbehrlich. Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es viel zu erforschen, zu organisieren, zu entwickeln in Psychiatrie. Dabei spielte die optimistische Erwartung seitens der Gesellschaft eine große Rolle und auch nicht zuletzt der Leidensdruck von Patienten, die bis dahin wenig oder gar keine Hilfe erfahren hatten. Es handelte sich bei diesem Entwicklungsschub meist um rein fachliche Konzepte. Mittlerweile beruht der Entwicklungsweg der Psychiatrie mehr auf finanziellen Interessen und ist durch unsere soziale Gesellschaftsveränderung geprägt.
Es sind 4 Faktoren, die die Psychiatrie in die Zukunft verändern werden
1. Psychische Erkrankungen als wirtschaftliche Krise
Die „World Bank“ hat im vergangenen Jahr einen globalen Wirtschaftsverlust von bis zu 13 Trillion Dollar bis zum Jahr 2030 (1) prognostiziert. In Deutschland wird es wirtschaftlich nicht besser aussehen.
Jährlich steigen die Produktionsausfallkosten wegen psychischer Erkrankungen von Mitarbeitern.
So lagen z.B. im Jahr 2016 die Kosten bei 12.2 Mrd. €., ca. 4 Mrd. € mehr als 3 Jahre zuvor. Die direkten wirtschaftlichen Kosten könnten in Deutschland bis zum Jahr 2030 auf 32 Mrd. € steigen (2). Des weiteren ist , laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, auch die Anzahl der jährlichen Frühberentungen durch psychische Erkrankung im Gegensatz zu anderen Erkrankungen von 24% im Jahr 2000 auf 41% im Jahr 2011 gestiegen (3).
2. Behandlungskosten
Zusätzlich zu den oben beschriebenen wirtschaftlichen Kosten, stiegen auch die Behandlungskosten an. Nach Angabe des GKV -Spitzenverbandes lagen die Behandlungskosten für psychische Erkrankungen im Jahr 2016 bei 9.7 Mrd. €. Das sind 1.1 Mrd. € mehr als 2014 (4).
Dies hat dazu geführt, dass angeblich bessere Abrechnungssysteme entwickelt worden sind, wie PEPP in Deutschland und TARPSY in der Schweiz, beide traten am 01.01.2018 in Kraft.
Eine einfache Erklärung: Beide Systeme sehen vor, dass je länger ein Patient in der Klinik bleibt, desto weniger wird dem Krankenhaus für den Patient pro Tag vergütet. Es ist fast selbstverständlich, dass sich ärztliche Kollegen bemühen und alles versuchen wollen, um dem Patienten zu helfen, am liebsten unabhängig von solchen Systemen. Den Wirtschaftsdruck der Krankenhausverwaltung kann man aber nicht außer Acht lassen. Es müssen diesbezüglich neue Möglichkeiten entwickelt werden, um die noch nicht psychisch ausreichend stabil entlassenen Patienten im ihren gewohnten Umfeld zu unterstützen.
3. Technologie
Die Entwicklung von Apps hat rasant zugenommen. Im Bereich der Medizin und der psychischen Gesundheit gibt es zwei Kategorien im Playstore: 1) Medizin und Gesundheit und 2) Fitness mit über 120.000 Apps (Stand 04.01.2019) (5).
Ein Großzahl dieser Apps liegen im psychischen Bereich, die von Diagnostik bis hin zur erhaltenden Therapie diversifiziert sind.
Außerdem gibt es neue Entwicklungen, durch die verschiedenen Sensoren psychische Störungen rechtzeitig erkennen. Verschiedene Spiele sind speziell für ADHS – Kranke und Autisten entwickelt. Bestimmte computergestützte Programme im Sinne von Virtueller Realität werden in der Psychotherapie bei verschieden Phobien und PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) erfolgsreich eingesetzt (Mühlberger, Andreas & Pauli, Paul 2011) (6).
Weiterentwicklungen von virtueller Realität im Bezug auf Zwangsstörung und Gruppentherapie sind schon im Aufbau.
Die Chatbots wie z.B. Woebotim Bezug auf Psychotherapie sind meiner Meinung nach nicht unbedingt erfolgversprechend, worüber ich im nächsten Blog schreiben werde. Die Rolle der Hologramme in der Medizin werden eher für die Ausbildung benötigt, da man Organe oder Körperteile besser visualisieren kann. Gespannt bin ich, welche Anwendung sie in der Psychiatrie haben werden, vor allem bei Behandlung von bestimmte Phobien.
4. Pharmakogenetik
Last but not least und nicht weniger relevant wird die Pharmakogenetik, die sich mit dem Einfluss genetischer Faktoren auf die Wirkung von Arzneimittel beschäftigt, immer wichtiger werden. Wer die psychopharmakologische Entwicklung der letzten 10-15 Jahren verfolgt hat, bemerkt, dass es realistisch betrachtet , keine großartigen Neuigkeiten auf dem Markt gibt. Die Entwicklung neuer Medikamente bis hin zur Zulassung kostet die Pharmakonzerne bis zu 1 Milliarde Euro, ohne eine Erfolgsgarantie. Seit 15 Jahren gibt es keine Neuzulassungen für Neuroleptika in Deutschland. Seit 2018 ist Cariprazin neu zugelassen, ein teures Medikament zwar mit anderem Wirkungsmechanismus (über D3-Rezeptoren) für mich leider bis jetzt ohne wesentliche positive Wirkung beim Patienten. Ich habe den Eindruck, dass die Pharmakonzerne einfach die vorhandenen Produkte zu optimieren versuchen. So gibt es seit Anfang 2018 in den USA ein digitales Medikament (Abilify MyCite), mit eingebautem Sensor, die die einzige Funktion hat, die regelmäßige Einnahme zu kontrollieren. Ob dass etwas bringt ist es fraglich. Es könnte sogar eher schädlich für die Therapie sein, da bei der Behandlung schizophrener Patienten das Vertrauensverhältnis das wichtige und erste Ziel des Therapeuten ist. Es ist fraglich, ob ein solches „Instrument“ beim Vertrauensaufbau zum Patienten von Vorteil wäre. Ein weiterer Ansatz diesbezüglich ist, die Wirkungsdauer der Medikamente zu verlängern (Abilify Maintena, Xeplion, Trevicta).
Bei Dutzenden von auf dem Markt erhältlichen Neuroleptika, Antidepressiva und vielen anderen Psychopharmaka mit unterschiedlicher Wirkungsdauer bleibt noch zu überprüfen, welche Psychopharmaka bei bestimmten Patienten angesichts der genetischen Spezifikation bei bestimmten Erkrankungen helfen könnte.
So hat das Unternehmen CNSDOSE (7). ein Programm „Ampli“, welches bei solchen Überlegungen und Entscheidungen zum Wohle des Patienten helfen könne. Angesichts der stagnierenden Forschung und Entwicklung auf diesem Markt bin ich mir ziemlich sicher, dass auch in den nächsten Jahren keine neuen Medikamente mit eindeutiger erfolgreicher Wirkung auf den Markt kommen werden.
Insgesamt bin ich der Meinung, dass die Unternehmen zur Unterstützung und für die Verbesserung der psychischen Gesundheit mehr gefordert werden sollten. Außerdem werden neue technologische Entwicklungen und personalisierte pharmakologische Behandlungen dazu führen, dass es neue kostengünstige aber flächendeckend erfolgversprechende Behandlungsalternativen bald geben wird.
Quelle:
2. http://psyga.info/psychische-gesundheit/daten-und-fakten )
3. https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/A88.pdf?__blob=publicationFile&v=11
4. https://www.bundestag.de/blob/531100/4f36889840d1105fc512aaf45fe12b40/wd-9-041-17-pdf-data.pdf
5. https://www.appbrain.com/stats/android-market-app-categories
6.Mühlberger, Andreas & Pauli, Paul. (2011). Virtuelle Realität in der Psychotherapie. PiD - Psychotherapie im Dialog. 12. 143-147. 10.1055/s-0031-1276816.
7. www.cnsdose.comAuch lesenswert